Fachartikel Energieeffizienz

Strom statt Druckluft

Energie­effiziente Zylinder

03.03.2023

Sie sind unscheinbar, und doch allgegen­wärtig in der Industrie: Druck­luft­zylinder, die lineare mecha­nische Bewe­gungen ausführen. Würden diese Zylinder nicht mit Druckluft, sondern elektrisch betrieben, liesse sich viel Energie einsparen. Ein Pilot­projekt hat das Poten­zial einer Umstel­lung auf Elektro­zylinder unter­sucht, zeigt aber auch die Hürden auf.

In den Produktions­betrieben der Industrie gibt es zahlreiche Anwen­dungen, bei denen eine Hin-und-her-Bewegung ausgeführt werden muss – etwa um eine Klappe zu öffnen oder ein Paket zu verschieben. Um solche Trans­lations­bewe­gungen maschinell auszuführen, werden heute in der Regel Druck­luft­zylinder benutzt, bei denen die Druck­luft zuvor in einem Kom­pressor mit elektrischer Energie erzeugt wurde. Gemäss einer Schätzung sind in der Schweiz zwei Millionen Druck­luft­zylinder im Einsatz, viele davon in den Produk­tions­maschinen der Industrie. Hinzu kommen Anwen­dungen  in Brand­schutz­türen, Mulden­kippern oder Melkrobotern.

Druck­luft­zylinder (auch: Pneumatik­zylinder) sind gut erprobt und heute für wenig Geld erhältlich. Energetisch gesehen sind sie indes keine ideale Lösung. Allein bei der Erzeugung der Druckluft mit elektrischem Strom geht fast die Hälfte der Energie als Wärme verloren. Weitere Verluste entstehen bei der Verteilung der Druckluft und bei deren Umsetzung in mechanische Energie. «Die mechanisch nutzbare Leistung beträgt nur 6% der elektrischen Ausgangs­energie. So entstehen grosse Verluste, die zu einem schönen Teil vermeidbar wären. Wenn man berücksichtigt, dass heute rund 1,5% des landes­weiten Strom­verbrauchs auf die Erzeugung von Druckluft entfallen, schlummert hier ein gewaltiges Einspar­potenzial», sagt Jeremias Wehrli.

Strom anstelle von Druckluft

Jeremias Wehrli absolvierte an der Zürcher Hochschule für ange­wandte Wissen­schaften (ZHAW) in Winterthur ein Maschinen­bau­studium. Zusammen mit Kollegen der ZHAW entwarf er den Prototypen eines Elektro­zylinders. So kam es im Oktober 2020 zur Gründung der Cyltronic AG, unter deren Dach der Elektro­zylinder zur Marktreife entwickelt wurde. Geschäfts­führer Wehrli entwarf in seiner Master­arbeit einen Businessplan für das Jung­unter­nehmen. Als Mitgründer stand ihm der Leistungselektronik-Entwickler Daniel Baumann zur Seite. Die Mission des Start-ups: Die weit verbreiteten Druck­luft­zylinder sollen durch energie­effiziente Elektro­zylinder ersetzt werden. Anfang 2023 arbeiteten bei Cyltronic zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dieses Ziel hin.

Die Firma ist seit 2022 am Markt. Bis 2025/26 will sie kostendeckend arbeiten. Aktuell sind in einer Handvoll Unter­nehmen rund 100 Cyltronic- Elektro­zylinder im Einsatz, in der Schweiz ebenso wie in Deutschland, Österrreich und Italien. Die neuartigen Elektro­zylinder sind im Vergleich zu Elektro­zylindern, die andere Hersteller schon früher entwickelt haben, kompakter gebaut und weisen die gleichen Abmessungen wie pneumatische Zylinder auf, auch können sie einfacher eingestellt und angesteuert werden als frühere Elektro­zylinder.

Herkömmliche Elektro­zylinder bestehen aus einem Regler, der einen Motor steuert, der über eine Spindel die mechanische Bewegung erzeugt. Der Regler befindet sich meist in einem Schaltschrank, zudem sind Motor und Spindel über eine Kupplungs­einheit verbunden. Der Elektro­zylinder von Cyltronic integriert Regler, Motor und Spindel in einem Gehäuse. Dadurch sei der Elektro­zylinder besonders kompakt und einfacher handhabbar, heisst es vonseiten Cyltronic.

Von Sommer 2021 bis Sommer 2022 wurden Prototypen der neuen Zylinder im Rahmen eines BFE-Pilotprojekts praxisnah erprobt und auf ihre Einsatz­taug­lichkeit und Energie­effizienz hin untersucht. Jeremias Wehrli zieht ein positives Fazit: «Wir konnten zeigen, dass unser Elektro­zylinder nicht nur funktioniert, sondern dass er in bestehenden Anwen­dungen  Druck­luft­zylinder 1 zu 1 ersetzt und zu diesen eine energetisch sparsamere Alternative bietet.» Die Maschinen­steuerung muss dabei nicht angepasst werden, weil der Elektro­zylinder mit dem gleichen elektrischen Signal gesteuert wird wie zuvor der Druck­luft­zylinder.

93% tieferer Stromverbrauch

Mit dem Ersatz von Druckluft- durch Elektro­zylinder können nach Angaben des Projekt­teams durch­schnittlich 93% an elektrischem Strom eingespart werden. Grundlage der Berechnung war der Einsatz von Elektro­zylindern in mehreren Pilotbetrieben.

Einer davon war die Reismühle Nutrex (Bild 1) in Brunnen (Kanton Schwyz). Die ersetzten Pneumatik­zylinder verbrauchten während ihrer Lebensdauer zusammen Druckluft mit einem energe­tischen Äquivalent von 44,5 MWh (und Kosten von 9349 Fr.). Mit dem Einsatz von Elektro­zylindern sind es noch 2,36 MWh bei Energiekosten von 496 Fr.

Minder­ausgaben in ähnlicher Höhe brachten drei Elektro­zylinder beim Stihl Ketten­werk in Wil SG, welches die Zylinder zum Öffnen und Schliessen von Ofenklappen einsetzt (Bild 2). Mit drei Elektro­zylindern konnten gegenüber den vorher genutzten Druck­luft­zylindern 98%, 89% bzw. 82% Strom gespart werden. Die jährliche Einsparung beträgt 1,8 MWh im Gegenwert von knapp 380 Fr. (bei einem Standard-Strompreis von 21 Rp./kWh).

Weitere Vorzüge der Elektro­zylinder sind laut Cyltronic-CEO Wehrli ein tieferer Lärmpegel und kurze Anpassungs­zeiten bei Änderungen des Betriebsmodus.

Maschinenbauer im Fokus

Trotz solcher Vorzüge ist die Umstellung auf Elektro­zylinder kein Selbstläufer. Ein Elektro­zylinder von Cyltronic kostet rund 1500 Fr., also etwa sechsmal so viel wie ein Pneumatikzylinder (wenn man die Kosten für die Erzeugung der Druckluft nicht berücksichtigt). Die Amorti­sations­zeit der Mehrkosten durch Energie­einspa­rungen beträgt sechs bis neun Jahre (auch hier gerechnet mit einem Strompreis von 21 Rp./kWh). Zwar kann die Amorti­sations­zeit bei intensiver Nutzung (kurze Taktzeiten) deutlich kürzer sein, trotzdem bleibt Wehrli realistisch: «So eindrücklich die Energie­ein­sparung ist, so müssen wir doch einen zusätzlichen Mehrwert bieten, um die höheren Kosten für unseren Zylinder zu rechtfertigen.» Wehrli verweist in diesem Zusam­men­hang auf die Positionier­fähigkeit der Cyltronic-Elektro­zylinder, also die Möglichkeit, die Position der Hin-und-her-Bewegung über eine Kommuni­kations­schnitt­stelle (IO-Link) exakt zu steuern. Auch liessen sich Geschwindigkeit und Kraft flexibel einstellen.

Pneumatikzylinder können in bestehenden Maschinen durch Elektro­zylinder ersetzt werden. Damit eine Maschine aber komplett von Druckluft auf Strom umgestellt werden kann, müssen sämtliche Druck­luft­zylinder ausgetauscht werden. Das kann aufwendig werden, denn mitunter sind in einer einzigen Maschine bis zu zwanzig verschie­dene Zylinder verbaut. Idealerweise werden Maschinen daher bereits bei der Herstellung mit Elektro­zylindern bestückt. Das erleichtert Inbetrieb­nahme, Wartung und Betrieb. Vor diesem Hintergrund möchte Cyltronic seine Elektro­zylinder künftig vorrangig an Maschinenbauer verkaufen.

Grosses Potenzial für Ersatzmassnahmen

Die Pilotanwender bewerten die Elektro­zylinder von Cyltronic positiv. Man habe «sehr gute Erfahrungen von der Prüfung bis zur Umsetzung» gemacht, sagt Gerhard Marty, Geschäfts­führer der Reismühle Nutrex in Brunnen. Laut Roy Baumann, Energie­manager beim Stihl Kettenwerk in Wil, bietet «insbesondere die frei wählbare Positionierung ohne zusätzliches Steuergerät einen hohen Zusatz­nutzen». Wie Gerhard Marty sieht auch er das bevorzugte Einsatz­gebiet der Elektro­zylinder beim Bau neuer Anlagen: «Wir sehen grosses Potenzial bei Neu­beschaf­fungen von Anlagen, welche durch den Einsatz von Elektro­zylindern komplett ohne Druck­luft­versor­gung auskommen.»

Im Rahmen des BFE-Pilotprojekts wurden Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern von zwölf Maschi­nen­bau-Unter­nehmen und sechzehn End­anwen­dern geführt. Die Antworten lassen darauf schliessen, dass Elektro­zylinder in der Schweiz erst sporadisch zum Einsatz kommen. Entsprechend gross ist das Potenzial, sowohl beim Bau neuer Maschinen als auch beim Ersatz von Pneumatik­zylindern in bestehenden Maschinen. Die Umfrage bei den Endanwendern ergab, dass Unter­nehmen pro Jahr mitunter mehrere Hundert Pneumatik­zylinder ersetzen müssen. Entscheiden sich Maschinen­hersteller für den Einbau von Elektro­zylindern, verteuert das tendenziell ihre Produkte. Im Gegenzug können sie ihren Kunden geringere Betriebs­kosten aufgrund des deutlich tieferen Energie­verbrauchs in Aussicht stellen.

Literatur

Der Schlussbericht zum Projekt «Elektro­zylinder als Pneumatikzylinder-Ersatz» ist abrufbar unter:
www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=48060

Links

Weitere Beiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte finden Sie unter
www.bfe.admin.ch/ec-strom.

Auskünfte zum Thema erteilen Roland Brüniger, externer Leiter des BFE-Forschungs­programms Elektrizitäts­techno­logien, und Cyltronic-CEO Jeremias Wehrli.

Das hier vorgestellte Projekt wurde vom Pilot- und Demonstrationsprogramm des Bundesamts für Energie (BFE) unterstützt. Mit dem Programm fördert das BFE die Entwicklung und Erprobung von innovativen Technologien, Lösungen und Ansätzen, die einen wesentlichen Beitrag zur Energieeffizienz oder der Nutzung erneuerbarer Energien leisten. Gesuche um Finanzhilfe können jederzeit eingereicht werden.

Auteur
Dr. Benedikt Vogel

est journaliste scientifique.

  • Dr. Vogel Kommunikation
    DE-10437 Berlin

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