Fachartikel Energienetze , ICT , Messtechnik

Quali­täts­reserven besser ausschöpfen

Ergebnisse des Projekts QuVert

27.05.2024

Um das Verteilnetz effizient zu planen und zu nutzen, ist es wichtig, die Quali­täts­reserven zu kennen und alternative Massnahmen zur Netzverstärkung gezielt einzusetzen. Im Projekt QuVert wurden die Quali­täts­reserven analysiert, Massnahmen verglichen und ein generisches Überwachungskonzept formuliert.

Während rund drei Jahren wurden die Quali­täts­reserven in einigen Mittel- und Nieder­span­nungs­netzen von sechs Netzbetreibern untersucht. Dazu wurden die Span­nungs­qualität (Power Quality, PQ) und die Auslastung erfasst. Die Quali­täts­reserve bezeichnet den Abstand des gemessenen, norm­relevanten Pegels eines PQ-Parameters zum entsprechenden Grenzwert. Die Einhaltung der EN 50160 [1] wurde auch in Fällen analysiert, in denen gewisse Anlagen vom Verteil­netz­betreiber bewusst über die Grenzen der heutigen «Technischen Regeln zur Beurteilung von Netz­rück­wirkungen DACHCZ» (TRBNr DACHCZ) hinaus zugelassen wurden [2].

Das Ziel des vom Bundesamt für Energie BFE geförderten Projekts war, auf Basis von Messungen in Verteilnetzen und einer umfassenden Datenanalyse die technischen und wirtschaftlichen Potenziale aufzuzeigen, die die Anwendung verschiedener Massnahmen zur Einhaltung der Span­nungs­qualität bietet.

Messkampagnen

Bei sechs Verteil­netz­betreibern haben die Geräte Linax PQ 5000 des Projektpartners Camille Bauer Metrawatt jeweils während mehrerer Monate die Span­nungs­qualitäts­parameter und die Auslastung erfasst. Ausserdem hat das Projektteam an ausgewählten Messpunkten die frequenz­abhängige Netzimpedanz mit dem Online-Network Impedance Spectrometer Onis 1000 Premium von morEnergy gemessen.

Span­nungs­qualität und Auslastung

Die Analyse der untersuchten Verteilnetze ergab, dass sie zurzeit im Allgemeinen mittlere bis grosse Quali­täts­reserven hinsichtlich Auslastung und Span­nungs­qualität im Vergleich mit den Grenzwerten aufweisen (Bild 1). Die Analyse konzentrierte sich auf Netze, in denen von den Netzbetreibern eine starke Auslastung und geringe Quali­täts­reserven vermutet wurden. Die Ergebnisse zeigten jedoch, dass nur wenige Messpunkte eine kritische Span­nungs­qualität aufwiesen. In solchen Fällen wurden Anschlüsse zugelassen, deren berechnete Werte die empfohlenen Vorgaben der technischen Regeln überstiegen. Die erwähnten Messpunkte mit kritischer Span­nungs­qualität sind in Bild 1 nicht dargestellt.

Oberschwingungen im Bereich der Ordnungszahlen 11 bis 25 zeigten oft Reserven von 50 bis fast 100%. Die 15. und die 21. Harmonische wiesen trotz der 2019 heraufgesetzten Grenzwerte geringe Reserven von weniger als 50% auf. Die Spannungsniveaus waren teilweise erhöht, insbesondere im Zusam­men­hang mit den eingestellten Trafostufen oder PV-Anlagen bei geringer Last im Sommer. Dabei korrelierte die Span­nungs­qualität nicht zwangsläufig mit der Auslastung. Auch in schwach ausgelasteten Netzen sind Grenz­wert­über­schrei­tungen möglich. In Trafokreisen mit vielen neuen Anschlüssen können Span­nungs­qualitäts­probleme durch eine Häufung von gleichartigen Geräten auftreten. Zudem wurden bei der Span­nungs­qualität beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Netzen der Netzbetreiber gemessen.

Abweichung von den Technischen Regeln

Während des Projekts wurde anhand der 3%-Regel exemplarisch analysiert, ob von den TRBNr DACHCZ abgewichen werden kann, ohne Grenzwerte nach EN 50160 zu verletzen. Resultat: Von der 3%-Regel kann in denjenigen Fällen abgewichen werden, in denen Netzsimulationen zeigen, dass Span­nungs­grenz­werte an allen Netzknoten eingehalten werden. Die 3%-Regel ist lediglich eine Empfehlung, von der abgewichen werden kann. Der obere Grenzwert nach EN 50160 (Nennspannung Un +10%) muss hingegen zwingend eingehalten werden. Um eine Abweichung von der Regel ohne Grenz­wert­ver­letzung zu gewährleisten, ist die korrekte Einstellung der Spannungssollwerte an Trans­formatoren erforderlich, unter Berücksichtigung der zulässigen Spannungs­erhöhung über der Mittel­span­nungs­ebene. Hierbei sind auch allenfalls im Betrieb nötige MS-Umschaltungen zu betrachten.

Das Wissen darüber, dass bei einer genauen Netz­simulation von der 3%-Regel abgewichen werden darf, hat einen Projektpartner dazu veranlasst, das Konzept «Messen und Regeln» zu formulieren und umzusetzen. Bei diesem Konzept beurteilt der Netzbetreiber Netzanschlussgesuche mit berechneter Spannungsanhebung zwischen 3 und 5% unter Berücksichtigung alternativer Massnahmen neu. Das Konzept ist im nächsten Absatz nebst anderen Massnahmen beschrieben.

Massnahmen zur Einhaltung der Span­nungs­qualität

Verschiedene Massnahmen zur Einhaltung der Span­nungs­qualität und zur Ausnutzung von Auslastungs- und Quali­täts­reserven wurden analysiert und verglichen. Die Anpassung der Trafostufe auf der Netzebene 6 (Mittelspannung zu Niederspannung) erwies sich als effektive Möglichkeit, um PV-bedingte Spannungserhöhungen zu reduzieren. Durch das Absenken der Trafostufe konnte der Abstand zum oberen Span­nungs­grenz­wert erhöht werden, was die Zulassung weiterer PV-Anlagen ermöglichte. Bei einer Absenkung der Trafostufe ist darauf zu achten, dass noch genügend Reserve zum unteren Span­nungs­grenz­wert vorhanden ist. Bild 2 zeigt die Spannungen in einem Netz vor und nach einer Anpassung der Trafostufe. Vor der Absenkung lag die Spannung im Phasenleiter L2 nur 0,5 V unterhalb des Grenzwerts (Messpunkt C1P1-60). Da in diesem Netz noch weitere PV-Anlagen angeschlossen werden sollten, wurde die Trafostufe abgesenkt. Dadurch war der Netzbetreiber in der Lage, das Spannungs­niveau herabzusetzen und neue PV-Anlagen anzuschliessen, ohne den Grenzwert zu verletzen.

Die Wirk- und Blind­leis­tungs­regelung bei PV-Anlagen sind kostengünstige Optionen, um Überspannungen durch die PV-Einspeisung zu verhindern und mehr PV-Anlagen ohne Netzverstärkung anzuschliessen. Allerdings hängt der Effekt stark von der gewählten Regelstrategie und dem Charakter der Kurz­schluss­impedanz ab. Zudem können Produktions­verluste (bei der Wirk­leis­tungs­regelung) oder zusätzliche Netzverluste (bei der Blind­leis­tungs­regelung) auftreten. Unter­suchungen haben gezeigt, dass eine Reduktion der Wirkleistung um 20 bis 30% den Jahresenergieertrag nur um bis zu 7% verringert [3]. Interessant ist hinsichtlich des aktuell diskutierten Mantelerlasses, dass eine Wirkleistungsreduktion um 20% bei allen betrachteten Ausrichtungen eine Reduktion der Jahresenergie von weniger als 3% zur Folge hätte.

Bei der Einstellung der Blind­leis­tungs­regelung ist darauf zu achten, dass das Vorzeichen der am Wechselrichter eingestellten Blindleistung korrekt ist. Die Einstellung hängt davon ab, ob diese auf Basis des Erzeuger- oder Verbraucher­pfeil­systems zu erfolgen hat. Im Projekt konnte eine falsch eingestellte Blind­leis­tungs­regelung identifiziert werden. Dabei wurde die Spannung angehoben statt abgesenkt. Die blaue Kurve in Bild 3a zeigt den gemessenen Verlauf der falsch eingestellten Blindleistung. Demgegenüber stellt die orange Kurve den berechneten Verlauf einer korrekt eingestellten Regelung dar. Positive Werte stehen für induktive Blindleistung (senkt die Spannung) und negative Werte für kapazitive Blindleistung (erhöht die Spannung). In Bild 3b ist die Differenz der Spannung zwischen gemessener, falsch eingestellter und gerechneter, richtig eingestellter Blind­leis­tungs­regelung erkennbar. Sie beträgt rund 2 V. Durch die falsche Parametrierung wurde die Spannung am Messpunkt also etwa um 1 V angehoben, während die richtige Einstellung die Spannung um etwa 1 V senken würde.

Das während des Projekts von einem Netzbetreiber umgesetzte Konzept «Messen und Regeln» ermöglicht mittels permanenter PQ-Messung und P(U)-Regelung des Wechselrichters an kritischen Anschlusspunkten eine gezielte Überwachung und Regelung von Anlagen, um Grenz­wert­ver­letzungen zu verhindern. Dies kann eine kosteneffiziente Alternative zum Ausbau der kundenseitigen Anschlussleitung bzw. zur Netzverstärkung darstellen. Denn mit diesem Konzept kann der Netzbetreiber den Anschluss einer PV-Anlage auch dann ohne Netzausbau bzw. Netzverstärkung bewilligen, wenn die berechnete Spannungsanhebung gemäss vorheriger Beurteilung zwischen 3 und 5% liegt.

Eine Netzverstärkung wirkt sich grundsätzlich positiv auf die Span­nungs­qualität und die Auslastung aus und kann die Quali­täts­reserven im Netz erhöhen. Jedoch muss sich dies nicht automatisch vorteilhaft auf die Pegel der Span­nungs­qualitätsparameter auswirken, wenn die Netzrückwirkungen nicht im betroffenen Nieder­span­nungs­netz verursacht werden.

Ausserdem schlägt das Projektteam die Überwachung als alternative Massnahme vor. Da bei einer kontinuierlichen Überwachung der Span­nungs­qualität an relevanten Netzknoten die Quali­täts­reserven bekannt sind, hat man die Sicherheit, dass auch dann keine Grenz­wert­verletzungen auftreten, wenn Netzanschlüsse ohne weitere Massnahmen zugelassen werden. Zur Umsetzung dieser Massnahme haben die Projektpartner ein generisches Über­wachungs­konzept formuliert.

Die Ergebnisse zeigen, dass bei der Wahl von Massnahmen die Netztopologie, die Anlagenstruktur und die Leistungsflüsse zu berücksichtigen sind. Fazit: Künftig wird ein Mix aus intelligenten Massnahmen gefragt sein, mit Überwachung und Netzverstärkungen bzw. Netzausbauten.

Generisches Überwachungskonzept

Die punktuelle, kontinuierliche Überwachung der Span­nungs­qualität ist bei einer zunehmenden Elektrifizierung eine wichtige Massnahme, um Stromnetze effizient auszunutzen und unnötige Netz­inves­titionen zu vermeiden. Die Messungen in verschiedenen Nieder­span­nungs­netzen haben gezeigt, dass heute an den meisten Netzknoten genügend Quali­täts­reserven vorhanden sind und folglich insbesondere die Überwachung von neuralgischen Punkten ökonomisch sinnvoll ist. Eine flächendeckende Messung scheint keinen signifikanten Mehrwert zu bringen. Wesentlich ist jedoch die Identifikation der Netzknoten mit geringen Quali­täts­reserven und derjenigen mit absehbarer Verschlechterung der Quali­täts­reserven. Daher wurde im Schlussbericht ein generisches Überwachungs­konzept formuliert, das eine einfache, möglichst kostengünstige Beurteilung der Span­nungs­qualität im Nieder­span­nungs­netz ermöglichen soll. Auf der Grundlage der Projektergebnisse wird zudem die Entwicklung eines einfacheren, kostengünstigeren Messgeräts vorgeschlagen, das Messungen der relevantesten Parameter ermöglicht.

Effizientes Verteilnetz

Der Projektschlussbericht stellt die Projektergebnisse zusammen und gibt Empfehlungen für die Umsetzung entsprechender Massnahmen ab [4]. Durch die Beschreibung der heutigen Quali­täts­reserven in verschiedenen Verteilnetzen und die Kenntnis, wie sich diverse Anlagen und Netzkonstellationen darauf auswirken, haben die Netzbetreiber ein besseres Verständnis des aktuellen Zustands und sind in der Lage, kommende Veränderungen besser einzuschätzen. Dies unterstreicht die Wichtigkeit von permanenten PQ-Messungen an ausgewählten Netzknoten im Nieder­span­nungs­netz. Die beschriebene Massnahme «Überwachung» und das Konzept «Messen und Regeln» können dabei helfen, die Quali­täts­reserven im Sinne eines effizienten Verteilnetzes besser auszunutzen und dabei sicherzustellen, dass die Grenzwerte nicht überschritten werden.

Aufgrund der gemessenen Quali­täts­reserven stellt sich die Frage, ob die aktuellen Planungs­grundsätze für einen kosteneffizienten Netzausbau ausreichen oder ob Ergänzungen in Bezug auf den Einsatz von sogenannten Smart-Grid-Technologien möglich sind. Dies wird in einem weiteren BFE-Projekt mit dem Namen Planet (Optimale Nutzung der Technischen Regeln bei einer effizienten Netzplanung) mit vierzehn Projektpartnern analysiert [5].

Referenzen

[1] SNV, EN 50160, Merkmale der Spannung in öffentlichen Elektrizitätsversorgungsnetzen, 2022.

[2] VSE, OE, VDE FNN, CSRES, Technische Regeln zur Beurteilung von Netzrückwirkungen, Aarau, 2021.

[3] M. Markstaler, K. Frick, M. Höckel, «Wie viel Photovoltaik verträgt das Verteilnetz?», Bulletin Electrosuisse 8/2023, S. 15.

[4] «Projekt QuVert», BFE, BFH, HES-SO, Camille Bauer Metrawatt, AEW, Energie Service Biel/Bienne, Energie Thun, IB-Murten, Primeo Energie, Repower, SIG, 2020–2024.

[5] «Projekt PLANET», BFH, BFE, Camille Bauer Metrawatt, AEW, BKW, CKW, Energie Service Biel/Bienne, Energie Thun, EW Höfe, EWZ, IB-Murten, Primeo Energie, Repower, Secure Switzerland, SIG.

Links

 

Ein besonderer Dank gilt dem Bundesamt für Energie BFE und den beteiligten Institutionen für ihre Unterstützung. Im Projekt QuVert waren nebst der Berner Fachhochschule auch die Fachhochschule Westschweiz (HES-SO Valais-Wallis), Camille Bauer Metrawatt AG, AEW Energie AG, Energie Service Biel/Bienne, Energie Thun AG, IB-Murten, Repower AG, Primeo Energie und Services Industriels de Genève involviert.

Autor
Stefan Schori

ist Tenure-Track-Dozent und Gruppen­leiter im Labor für Elektri­zitäts­netze der Berner Fach­hoch­schule.

Autor
Ron Buntschu

arbeitet als Wissen­schaft­licher Mitar­beiter im Labor für Elektri­zitäts­netze der Berner Fach­hoch­schule.

Autor
Prof. Michael Höckel

führt als Professor für Energie­systeme sowohl das Labor für Elektri­zitäts­netze als auch das Labor für Wasser­stoff­systeme der Berner Fach­hoch­schule.

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