Fachartikel Energieeffizienz , ICT

Lasten kunden- und netzdienlich steuern

Optimierungen mit Algorithmen

03.05.2022

In einem Forschungsprojekt wurden Algorithmen zur Steuerung flexibler Endkundenlasten entwickelt und im Feld getestet. Die Algorithmen helfen einerseits, Spannungs- und Leistungsspitzen im Netz zu reduzieren, andererseits können Kunden ihren PV-Eigenverbrauch erhöhen und ihre Stromkosten senken.

Traditionellerweise steuern Verteilnetzbetreiber flexible Kundenanlagen wie Boiler oder Wärmepumpen mittels Rundsteuerung. Die in Cluster gruppierten Kunden­anlagen werden pauschal blockiert oder freigegeben, ohne damit auf die individuelle Situation der Anlagen Rücksicht zu nehmen. Das von Evulution AG entwickelte Smartpower-System erlaubt eine differenzierte Steuerung flexibler Lasten. Herzstück dieses Systems ist das «Smart Manager» genannte Gateway, ein Steuer- und Kommunikationsgerät mit diversen Schnittstellen und Funktionen zur Anbindung von Elektroboilern, Wärmepumpen, Elektro-Ladestationen, Batteriespeichern u. v. m. (Bild 1).

Neben der Ausgabe von Steuerfunktionen über Schnitt­stellen kann der Smart Manager auch Smart Meter diverser Hersteller auslesen. Somit kann das Smartpower-System Rundsteuerung und Zähler-Fernauslesung in einem ersetzen und stellt auch für künftige Anwendungen an jedem Netz­anschlusspunkt breitbandige Kommunikationstechnologie zur Verfügung. Repower steht am Anfang des Rollouts dieses Systems und hat es bereits produktiv im Verteilnetz in Betrieb.

Der Kunde hat die Wahl

Gemäss Stromversorgungsgesetz [1] entscheiden die Endkunden selbst über die Nutzung ihrer Flexibilität. Das Smartpower-System zielt spezifisch auf diese Kunden­flexibi­lität und auf die dafür nötige Kundeninteraktion ab. Um den Kunden die Wahl zu geben, wofür sie ihre Flexibilität einsetzen wollen, wurden in einem Projekt mit dem Institut für Elektrische Energietechnik der Fachhochschule Nordwestschweiz vier Algorithmen entwickelt. Die Kunden entscheiden, ob sie ihre Flexibilität dem Netzbetreiber überlassen oder für eigene Zwecke nutzen wollen. Für beide Fälle – netz- oder kundendienlicher Einsatz der Flexibilität – wurden jeweils zwei Algorithmen entwickelt. Diese sind auf dem Smart Manager implementiert und können je nach Kundenwunsch aktiviert werden.

Algorithmen

Mit der Steuerung flexibler Lasten können unter­schiedliche Ziele verfolgt werden. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen:

  • netzdienlichen Algorithmen, welche vom Netzbetreiber eingesetzt werden, um die netzbetriebliche Situation zu verbessern, und
  • kundendienlichen Algorithmen, welche Ziele im Sinne des Kunden verfolgen.

Netz- und kundendienliche Ziele können sich wider­sprechen, müssen aber nicht. Als Basis für die Entwicklung der netzdienlichen Algorithmen wurde zunächst eine Netzanalyse durchgeführt, um die Wirkung der flexiblen Lasten auf Ströme und Spannungen an den Netzelementen besser zu verstehen und zu quantifizieren. Mit den Erkenntnissen aus der Studie wurden Algorithmen zur Verbesserung der Spannungssituation und zur Reduktion von Leistungsspitzen im Netz entwickelt.

Die Erhöhung des PV-Eigenverbrauchs und die Opti­mierung der Stromkosten durch Ausnutzung des Tarifsystems wurden als zwei für Endkunden relevante Ziele identifiziert und implementiert. Die Optimierung des PV-Eigenverbrauchs geschieht durch gezielte Verschiebung der flexiblen Lasten in Zeiten mit zu erwartender ausreichender PV-Produktion. Für die Reduktion der Stromkosten wird der Verbrauch von Hoch- in Niedrigtarifzeiten verschoben, wobei die Tarifstufen individuell parametriert werden können.

Solche Algorithmen sind wissenschaftlich gut untersucht, jedoch sind die publizierten Konzepte in der Praxis kaum anwendbar. Es gibt viele Gründe für diese Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis – unter anderem Annahmen bezüglich Steuerbarkeit und Beobachtbarkeit des Systems. Beide sind in der Realität äusserst beschränkt. Zudem sind viele vorgeschlagene Algorithmen mit hohem Rechen- und Kommunikationsaufwand verbunden und deshalb kaum für eine hohe Anzahl gesteuerter Geräte skalierbar. Ausserdem gehen viele in der Literatur vorgeschlagene Algorithmen von ausreichend guten Prognosen des täglichen Lastbedarfs pro Netzanschluss aus, was in der Praxis nicht gegeben ist.

Die Herausforderung bei der Entwicklung der Algo­rithmen in diesem Projekt bestand darin, unter Berücksichtigung aller praktischen Einschränkungen eine hohe Performance der Algorithmen zu erzielen. Zudem musste darauf geachtet werden, dass das Verfolgen einer spezifischen Zielfunktion nicht zur signifikanten Verschlechterung eines anderen Aspektes führt. Zum Beispiel soll der Eigenverbrauchsalgorithmus keine hohen Lastspitzen für den Netzbetreiber zur Folge haben.

Komfort, Sicherheit und Privatsphäre

Die implementierten Algorithmen steuern die flexiblen Lasten im Rahmen strenger Komfortgrenzen. Diese stellen sicher, dass die Kunden nichts von den Steuer­eingriffen des Smart Managers bemerken, dass also beispielsweise immer genügend Warmwasser verfügbar ist. Zudem verhindern gerätespezifische Steuerlimiten ungünstige Schaltungen, welche die Lebensdauer der Geräte beeinträchtigen könnten.

In einer an der Fachhochschule Nordwestschweiz durchgeführten Untersuchung bezüglich Akzeptanz von «smarten» Systemen bei Endkunden wurde festgestellt, dass Endkunden vor allem zwei Aspekten gegenüber kritisch eingestellt sind [2]:

  • Die Kunden wollen nicht, dass detaillierte Daten zum Stromverbrauch im Haushalt an eine externe Stelle geschickt und dort verarbeitet werden.
  • Die Kunden wollen nicht, dass ihre Geräte direkt durch externe Steuerbefehle geschaltet werden.

 

Beide Aspekte wurden bei der Konzeption der Lösung berücksichtigt. Die kundendienlichen Algorithmen laufen autonom im vor Ort installierten Smart Manager. Somit müssen die für den Algorithmus lokal gemessenen Daten nicht an eine externe Stelle gesendet werden. Für die netzdienlichen Algorithmen nutzen die Smart Manager ein lokal gemessenes (Spannung) oder vom Netzbetreiber übermitteltes, allgemeines Anreizsignal (Netzbelastung). Die Ableitung von Steuerbefehlen aus diesen Signalen geschieht am Smart Manager individuell für die jeweilige Kundenanlage, wobei die komfort- und gerätespezifischen Einschränkungen stets berücksichtigt werden. Es werden also keine externen Steuerbefehle empfangen und direkt umgesetzt. Da die Entscheide lokal getroffen werden, ist der Ansatz sehr kommunikationsarm und ohne besondere Bandbreitenan­forderungen realisierbar. Dank der hohen Autonomie und Dezentralisierung wird das Risiko eines «Single Point of Failure» reduziert.

Implementierung, Test und Feldversuch

Die Algorithmen wurden in einem mehrstufigen Prozess entwickelt und getestet. Zunächst wurden die Funk­tionen in einer Computersimulation implementiert. Nach erfolgreicher Simulation wurden die Steuerbefehle auf die Ziel-Hardware im Labor geschickt und verifiziert. Erst nach Abschluss dieser Phase wurde die Software auf dem Smart Manager implementiert und nochmals getestet. Anschliessend wurde die Software für jene Kunden freigeschaltet, die das Flexibilitätsmanagement durch Repower bewilligt haben.

Für die Tests wurde im Smart-Energy-Labor der FHNW eine Anlage entwickelt, mit der vordefinierte Tages­last­gänge automatisch abgefahren werden können (Einstiegsbild). Die Testanlage beinhal­tet verschie­dene steuerbare und nicht steuerbare Geräte (Elektro­boiler, Wärme­pumpe, Elektro­lade­station, Batterie­speicher) sowie ein typisches «Grundrauschen» eines Haushalts­verbrauchs. Zudem ist eine gesteuerte Quelle über einen PV-Wechselrichter integriert, mit der die Produktion einer PV-Anlage simuliert wird. Im Projekt wurden anhand von gemessenen Daten repräsen­tative Beispiel-Lastgänge getestet (je ein Mittwoch und ein Sonntag in den verschiedenen Jahreszeiten). Um die Effizienz der Labortests zu erhöhen, kann das Testprogramm wahlweise in zehnfacher Geschwindigkeit laufen, d. h. ein Tages­last­gang wird im Zeitraffer innerhalb von 2,4 h abgefahren.

Nach den Labortests erfolgte der Roll-out auf die Smart Manager bei den Testkunden im Verteilnetz von Repower. Diese Kunden hatten sich im Vorfeld bereit erklärt, ihre Anlagen für den Test der Algorithmen zur Verfügung zu stellen.

Ergebnisse und Erfahrungen

Zunächst wurden im Labor und im Feldtest vor allem die kunden­dien­lichen Algo­rithmen intensiv getestet, wobei der Fokus auf dem Eigen­verbrauchs­algorith­mus lag. Die Labor- und Feldtests für die netz­dienlichen Algorithmen sind noch nicht abgeschlossen.

Als Benchmark für die Performance des Algorithmus wurden die Ergebnisse einer Optimierung herangezogen, mit welcher unter perfekten Modell­bedin­gungen das theore­tische Optimum bestimmt wurde.

Die Tabelle zeigt die Testergebnisse der Eigen­verbrauchs­optimierung. An den Testtagen im Januar, im April und im Juli konnte der Eigenverbrauch je nach gesteuerten Geräten zum Teil signifikant erhöht werden. Im Juli kam der Algorithmus sogar nahe an das ­theoretische Optimum heran. Für den getesteten Novembertag fallen die Ergebnisse aufgrund der geringen PV-Produktion bescheiden aus, im schlechtesten Fall kann es sogar zu einer leichten Reduktion des Eigenverbrauchs kommen. Allerdings muss die prozentuelle Betrachtung für diesen Tag relativiert werden, weil die absolut erzeugte PV-Energie sehr klein ist und eine mögliche Reduktion des Eigenverbrauchsgrads in der aufgetretenen Grössenordnung für die Kunden praktisch irrelevant ist.

Bild 2 zeigt als Beispiel die Netzaustauschleistung eines Endkunden mit PV-Anlage und den Status des Relais, welches die Wärmepumpe steuert.

In Zeiten ohne PV-Produktion (0 bis 9 Uhr und nach 18 Uhr) wird die Wärmepumpe regelmässig blockiert, damit ein Teil des Heizbedarfs in Zeiten mit hoher PV-Produktion verschoben wird. Von 10 bis kurz nach 18 Uhr ist die Wärmepumpe dann durchgehend freigegeben und kann das durch die Unterbrechung künstlich erzeugte Wärmedefizit aufholen und dafür lokal erzeugte PV-Energie nutzen.

Ausblick

Die Tests im Labor und im Feld haben gezeigt, dass die implementierten Algorithmen robust funktionieren und trotz einfachen Voraussetzungen gute Ergebnisse liefern. Die entwickelten Algorithmen nutzen keine Vorhersagen der PV-Erzeugung und des Lastbedarfs, sondern ausschliesslich Messungen der Netzaustauschleistung. Dabei werden Ergebnisse erzielt, die je nach Jahreszeit mehr oder weniger signifikant zur Erhöhung des Eigenverbrauchs beitragen.

Die Autoren gehen davon aus, dass ein Miteinbezug von PV- und Lastprognosen die Performance der Algorithmen noch weiter steigern kann. Darüber hinaus können künftig Analysen von historischen Daten dazu beitragen, optimale Steuer-Parameter für einen Haushalt zu bestimmen.

 

Am Projekt waren zudem folgende weitere Personen beteiligt: Prof. Ishan Pendharkar, FHNW, sowie Roger Caviezel, EVUlution AG.

Referenzen

[1]      Bundesgesetz über die Stromversorgung (StromVG) vom 23. März 2007 (Stand 1. Juni 2019), Art. 17b.

[2]      M. Soland, S. Loosli, J. Koch, et al., «Acceptance among residential electricity consumers regarding scenarios of a transformed energy system in Switzerland—a focus group study», Energy Efficiency 11, 2018, S. 1673–1688.

Autor
Martin Geidl

ist Leiter des Instituts für Elektrische Energietechnik.

  • FHNW, 5210 Windisch
Autor
Nikolaos Efkarpidis

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Elektrische Energietechnik.

  • FHNW,5210 Windisch
Autor
Thomas Tarnowski

ist wissen­schaft­licher Mitarbeiter am Institut für Elek­trische Energie­technik.

  • FHNW,5210 Windisch
Autor
Adrian Mettler

ist Verantwortlicher Smart Grid und leitet den Smart-Meter-Rollout bei Repower.

  • Repower AG, 7302 Landquart

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