Fachartikel Erneuerbare Energien , Mobilität

Nach­haltige Flug­treib­stoffe

Entwicklungen und Herausforderungen

17.04.2024

Der Bundesrat verab­schiedete 2021 die Leit­linien für die Schweizer Klima­stra­tegie. Die Emissionen aus dem Luft­verkehr sind dabei auch im Netto-Null-Ziel für 2050 aufgeführt: Im Luft­verkehr sollen die CO2-Emis­sionen Netto-Null betragen; die übrigen Klima­wir­kungen sollen sinken oder mit anderen Mass­nahmen ausgeglichen werden.

Seit Jahrzehnten werden alternative Energie­speicher untersucht, die die Energie fürs Fliegen komplett ohne direkte CO2-Emissionen bereitstellen können. Dazu gehören auch batterie-elektrische Flugzeuge. Das BAZL war direkt an der erstmaligen Luft­fahrt­zertifi­zierung eines zweisitzigen Elektro­flugzeugs beteiligt und hat auch den Einsatz des Flugzeugs (Pipistrel Velis) als Nischen­produkt für Flugschulen sub­ven­tioniert. Dabei wurden neben den bekannten Limitie­rungen durch die geringe Energie­dichte von Batterien auch unerwartete Erkennt­nisse mit aktueller Batterie­technologie gewonnen: Die Heraus­forderung, Batterie­systeme ohne das Unter- oder Überschreiten kritischer Temperaturen im Flugzeug zu betreiben und die geringe Lebensdauer von Batterie­systemen im Flugzeug­einsatz, da deren Kapazität von Flug zu Flug wegen fehlender Gewichts- bzw. Kapazitäts­reserven voll aus­ge­schöpft werden muss.

Die Grenzen des elektri­schen Antriebs

Ohne unerwartete Sprünge in der Batterie­ent­wicklung (insbesondere in Bezug auf Gewicht, Sicherheit und Lebensdauer) bleibt der direkte elektrische Antrieb auch langfristig auf kleinere Flugzeuge mit kürzeren Reichweiten limitiert. Auch wenn höhere Reichweiten erreicht werden können, wird dies durch das verglichen mit Kerosin höhere Gewicht des Energiespeichers mit Einbussen bei der Nutzlast einhergehen. Daraus resultiert – trotz der hohen Energie­effizienz von Elektro­motoren – ein höherer Energiebedarf pro Passagier respektive Nutzlast, was das Potenzial zur Klima­wirkungs­reduktion weiter einschränkt. Die Technologie kann von kleinen Flugzeugen nicht einfach auf grössere hochskaliert werden. Die Physik setzt hier Grenzen. Für den Kürzest­strecken-Luftverkehr in Gebieten mit schlechter Verkehrs­infra­struktur am Boden (wie Teile von Skandi­navien), können Elektro­flugzeuge für Passagier­transporte erwartet werden. In diesem Segment von Flügen unter 1 h Flugzeit mit bis zu 50 Passagieren werden aber heute global deutlich weniger als 1% der CO2-Emissionen des Luftverkehrs erzeugt. Der Ersatz solcher Flugzeuge durch batterie-elektrische Flugzeuge ist global gesehen bezüglich Treib­haus­gas­reduktion praktisch wirkungslos.

Wasserstoff liesse sich nutzen

Ein weiterer möglicher Energiespeicher ist Wasserstoff. Damit Flugzeuge mit Wasser­stoff-Speicher im Bereich von Kurz- und Mittel­strecken heutige Flugzeuge ersetzen könnten, muss das Volumen von Wasser­stoff für die Speicherung an Bord so klein wie möglich gemacht werden. Das ist nur in flüssiger Form möglich, mit einer Transport­tempe­ratur des Wasserstoffs von –253°C an Bord des Flugzeugs. Für den Antrieb kann Wasserstoff direkt in Gasturbinen eingesetzt werden oder via Brenn­stoff­zellen Strom produzieren, der in Elektro­motoren für die Schub­erzeugung genutzt wird (hybrid-elektrische Antriebe). Flugzeuge mit Flüssigwasserstofftanks sind in Entwicklung, wobei aber die Heraus­forde­rungen an Dauer­haftigkeit von Kompo­nenten und praktisches Handling ganz andere Dimensionen erreichen als beispielsweise bei Weltraumraketen, welche heute teilweise auch mit Flüssigwasserstoff betrieben werden. Wasser­stoff­betrie­bene Passagier­flug­zeuge sind für Kurz- und Mittelstrecken aus Ingenieur­sicht denkbar. Für Lang­strecken­flug­zeuge dürfte diese Techno­logie jedoch insbesondere aufgrund des benötigten Speicher­volu­mens keine Alternative darstellen. Für rund die Hälfte der CO2-Emissionen des globalen Luftverkehrs ist diese Technologie deshalb auch langfristig keine Lösung. Um die erreichbare Reduktion der Klimawirkung einschätzen zu können, müssen zudem die kurz­fristigen Effekte des auf Flughöhe ausgestos­senen Wasserdampfs geklärt werden. Bei der Verwendung von Gasturbinen, welche für den Leistungs­bedarf beim Start eines typischen Passagierflugzeugs praktisch zwingend sind, kann es ohne besondere Verbren­nungs­technologie hohe Stick­oxid­emissionen geben. Beispielsweise braucht ein 180-Sitzer beim Start etwa 40 MW Antriebsleistung. Das ist wegen der begrenzten elektrischen Spannung am Flugzeug elektrisch nicht zu schaffen. Dazu kommen Verlustwärme-Probleme der Brennstoffzellen bei so hohen elektrischen Leistungen. Eine flugfähige «Low-NOx»-Wasser­stoff­verbren­nung muss zuerst noch entwickelt werden.

Die wichtigste Voraussetzung für eine Reduktion der Klimawirkung ist die Vermeidung von fossilen Energiequellen bei der Herstellung des Wasserstoffs, wofür in diesem Kontext primär die Elektrolyse von Wasser mit Elektrizität aus erneuerbaren Quellen in Frage kommt. Dann kann Wasserstoff als nachhaltiger Flugtreibstoff bezeichnet werden. Airbus hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2035 ein kommerzielles Regional­flug­zeug mit Flüssig­wasser­stoff als Energie­speicher und Gas­turbinen­antrieb zu entwickeln.

Nachhaltige Flugtreibstoffe

Ganzheitlich betrachtet, inklusive Produktion und Infrastruktur, werden bei einem typischen Passagierflugzeug während 25 Jahren Lebensdauer rund 95% der Treib­haus­gas­emis­sionen im Flugbetrieb erzeugt – durch den Treibstoff.

Einer der grössten technischen Hebel zur Reduktion der Klimawirkung in den kommenden Jahrzehnten ist deshalb der Einsatz von Treibstoffen, welche zu insgesamt möglichst geringen fossilen Treib­haus­gas­emis­sionen führen und als «Drop in» direkt in der bestehenden weltweiten Flotte eingesetzt werden können. Diese Treibstoffe sind kerosinähnlich und werden unter dem Begriff «Nachhaltige Flugtreibstoffe» (Sustainable Aviation Fuels, SAF) geführt.

In diesen Treibstoffen stammen Kohlenstoff und Wasserstoff entweder aus biogenen Quellen (z. B. alte Speiseöle, Schlachtabfälle, Holzabfälle, jedoch keine Nahrungsmittel) oder werden direkt der Atmosphäre entzogen, wobei Wasserstoff dann mit Elektrolyse aus Wasser erzeugt wird. Im Markt schon gehandelte SAF gehören der biogenen Sorte an. Sie brauchen wenig zusätzlichen Energieinput und sind relativ gesehen am wenigsten teuer.

Die zweite Sorte, als synthe­tische SAF bezeichnet, benötigt sehr viel erneuer­baren Energie­input (Strom oder Wärme). Technisch gibt es funktionierende Lösungen, aber bei der Verbesserung der Herstellungspfade und der Energieeffizienz bei der Produktion besteht noch viel Potenzial. Synthetische SAF sind heute kaum verfügbar, da ihre Produktion entsprechend noch teurer ist als für biogene SAF. Sofern an geeigneten Standorten genügend erneuerbare Energie produziert wird, nutzen synthetische SAF aber im Gegensatz zur biogenen Sorte fast unbeschränkte Quellen – die Atmosphäre und die Sonne. Bei Verwendung elektrischer Energie ist deren Herkunft zum Zeitpunkt des Verbrauchs sehr entscheidend, weil die eingesetzte Energie einen sehr tiefen CO2-Fussabdruck aufweisen muss. Bei der Verwendung von Wasserkraft und Kernenergie (beide liegen bei rund 10 g CO2/kWh über die Lebensdauer der Anlagen), lassen sich mit synthetischen SAF gegenüber fossilem Kerosin aktuell etwa 90% der fossilen CO2-Emissionen reduzieren.

Ein direktes Anschliessen einer Produktionsanlage ans Schweizer Stromnetz würde gesamtheitlich betrachtet (unter anderem wegen Importen aus Deutsch­land) bereits kaum mehr einen CO2-Vorteil bringen. Wenn «Strom» aus Wasserkraft oder Kernenergie nicht zur Verfügung steht bzw. ausge­baut wird und statt­dessen auf Photo­voltaik gesetzt wird, so besteht für ein funktio­nierendes System auf der geo­grafi­schen Breite der Schweiz wegen der starken Saisonalität gemäss unserer Analyse ein grosser zusätzlicher Speicherbedarf für elektrische Energie. Interes­santer­weise ist der Speicherbedarf für eine direkte Elektri­fizierung aus Photovoltaik am grössten, weil Produktion und Last sehr stark voneinander abweichen können. Ferner ist die Rück­ver­stromung mit Verlusten verbunden. Gesamthaft gesehen ist das BAZL zum Schluss gekommen, dass auf Basis von Photovoltaik für elektrische Flugzeuge nicht weniger elektrische erneuerbare Primärenergie nötig wäre als für den Betrieb mit synthetischem SAF, welcher an geeigneten Standorten produziert wird.

Aus wirtschaftlichen Gründen muss die Produktion synthetischer SAF zudem entweder in Gegenden stattfinden, wo zusätzliche Wasser­kraft­werke erstellt wurden oder werden (Beispiel Norwegen) oder wo die Saisonalität der Sonnen­ein­strahlung geringer und die Strahlungs­inten­sität grösser als in der Schweiz ist. Der Transport von Kerosin­treib­stoffen mit bestehender Infra­struktur in die Schweiz macht nur einen geringen Teil der Umwelt­belastung aus und ist aus dieser Sicht kein Problem.

Fazit

Zusammenfassend zeigt sich für alternative Energiespeicher das folgende Bild: Bis das Potenzial von Batterien und Wasserstoff zur Reduktion von Emis­sionen erreicht werden kann, müssen diese Energiespeicher zuerst weiterentwickelt, in Prototypen angewandt und dann die bestehende Flugzeugflotte ersetzt werden. Dazu wird umfangreiche Infrastruktur benötigt, von der Bereitstellung der nötigen erneuerbaren Primärenergie über den Transport und die Zwischen­speicherung bis zur Versorgung an allen Flughäfen, die von solchen Flugzeugen angeflogen werden sollen. Entsprechend nimmt das Potenzial zur Abdeckung des Transport­bedarfs mit diesen Technologien in den nächsten Jahrzehnten nur langsam zu. Die Vermeidung von Emis­sionen über den Lebenszyklus von batterie-elektrischen Flugzeugen ist abhängig von der weiteren Entwicklung der Technologie, insbesondere der Batterieherstellung.

Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrats hat den Bundesrat im Jahr 2021 via Postulat beauftragt, in einem Bericht aufzuzeigen, «wie ein CO2-neutrales Fliegen bis 2050 ermöglicht werden kann». Mit dem Ja der Stimmbevölkerung im Juni 2023 zum Klima- und Innovationsgesetz wird der Luftverkehr ins Netto-Null-Ziel der Schweiz aufgenommen. Der nun verabschiedete Bericht des BAZL hält fest, dass sich dieses Ziel, das auch die Luft­fahrt­industrie anstrebt, erreichen lässt. Allerdings muss die Branche hierfür in den kommenden Jahren viele Ressourcen in die Forschung und Entwicklung technischer Massnahmen investieren.

Die wichtigste technische Massnahme zur Reduktion der fossilen CO2-Emis­sionen ist der Einsatz nach­haltiger Flug­treib­stoffe, wie ausgeführt wurde. Einen Beitrag leisten werden auch Effizienz­steige­rungen in der Flugzeugflotte und im Flugbetrieb. Der Bericht hält weiter fest, dass bestehende Instrumente, darunter das Emissions­handels­system der Schweiz, bereits Anreize zur Reduktion der Treib­haus­gas­emis­sionen setzen. Zudem sieht das CO2-Gesetz für die Zeit nach 2024 auch für den Luftverkehr neue Instrumente vor; so etwa eine Beimisch­pflicht für nachhaltige Flug­treibstoffe.

Festgelegte Kriterien verhindern bei diesen Treibstoffen unerwünschte Auswirkungen auf die Umwelt und Konflikte mit der Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln. Hinzu kommen neue Fördermittel, mit welchen der Bund die Luftfahrt auf dem Weg zur CO2-Neutralität unterstützen will. Mit den bestehenden und ab 2025 vorgesehenen Instrumenten kann der Bund die Weichen stellen für eine Reduktion von 70% der CO2-Emissionen des Schweizer Luftverkehrs. Damit er bis 2050 das Netto-Null-Ziel vollständig erreicht, braucht es indes auch die Entnahme und Speicherung von CO2 (Negativ­emissions­techno­logien).

Der Bund begleitet die nachhaltige Entwicklung der Luftfahrt eng, lässt neue Erkenntnisse laufend in seine Arbeiten einfliessen und berichtet darüber. So thematisiert der Bericht neben den CO2-Emissionen auch weitere Klima­wirkungen der Luftfahrt wie die Bildung von Kondens­streifen. Solche zusätzlichen Klima­wirkungen werden aktuell noch erforscht. Gerade nachhaltige Flug­treib­stoffe können auch diese Effekte reduzieren.

Autor
Theo Rindlisbacher

ist Physiker beim Bundesamt für Zivilluftfahrt.

Kommentare

Bitte rechnen Sie 3 plus 3.