Fachartikel Mobilität , Smart Grid

Ladestationen im Dienst des Stromnetzes

Pilot- und Demonstrationsprojekt

12.04.2024

Mit der steigenden Anzahl von Elektro­autos in der Schweiz wird auch das Stromnetz zunehmend belastet. Lastspitzen liessen sich vermeiden, wenn die Lade­statio­nen netzdienlich, unter Berück­sich­tigung von lokaler Produktion und lokalem Verbrauch, gesteuert und mit Puffer­speichern ergänzt würden. Ein West­schweizer Forschungs­team hat diese Idee untersucht.

Der Verkehr trägt rund 30% zu den landesweiten Treibhausgas-Emissionen bei. Um diesen Ausstoss zu senken und dem Klimawandel entgegenzuwirken, strebt die Politik eine weitgehende Elektrifizierung des öffentlichen und privaten Verkehrs an. Mit Blick auf dieses Ziel entsteht zurzeit eine landesweite Ladeinfrastruktur. Der Strombedarf für die Elektrofahrzeuge soll so weit wie möglich mit Strom aus lokalen erneuerbaren Quellen gedeckt werden.

Solange nur einzelne Ladestationen in Betrieb waren, hat das robust ausgelegte Schweizer Stromnetz die Mehrbelastung durch die Elektromobilität gut verkraftet. Mit dem flächendeckenden Ausbau der Ladeinfrastruktur stösst das Netz aber an seine Leistungsgrenze. Besonders wenn die Elektroautos mit maximaler Leistung geladen werden, muss das Stromnetz verstärkt werden, was zu höheren Netztarifen führt. Erschwerend kommt dazu, dass Solar- und Windstrom nur zu Zeiten mit Sonneneinstrahlung bzw. Wind verfügbar sind. Dies ergibt neue Belastungen für die regionalen und kommunalen Verteilnetze.

Fokus auf Verteilnetzen

Dieser Herausforderung hat sich ein Team der ETH Lausanne (EPFL) im Demonstrationsprojekt MESH4U gewidmet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten Verteilnetze, die mit steuerbaren E-Auto-Ladestationen und steuerbaren Batteriespeichern ausgerüstet sind und grössere Kraftwerke für erneuerbare Energien enthalten. «Steuerbar» bedeutet in diesem Projekt in erster Linie die Regelung von Spannung und Stromstärke – und zwar so, dass die Belastung des Verteilnetzes minimiert wird. Die Forscher untersuchten die Steuerbarkeit von Schnellladestationen in technischer Hinsicht ebenso wie aus Sicht der Akzeptanz der Nutzer. Sie fragten zudem, inwiefern der Einsatz einer Batterie die Flexibilität erhöht und damit einen «netzdienlichen» Betrieb von Ladestationen ermöglicht.

Die Studie wurde von einem Team um Prof. Dr. Mario Paolone (Distributed Electrical Systems Laboratory der EPFL) durchgeführt, unter Mitarbeit der Software-Firma GridSteer, von Romande Energie sowie der Firma Gotthard Fastcharge.

Versuche in Lausanne und Aigle

Das Projektteam baute im Zuge von MESH4U auf dem EPFL-Campus eine öffentliche Schnellladestation (insgesamt 150 kW Ladeleistung) auf, an der gleichzeitig zwei Elektroautos in 15 Minuten mit 100 km «Reichweite» geladen werden können (je nach Ladeanschluss und Fahrzeug). Zur Versuchsanordnung gehörten eine 560-kWh-Grossbatterie in einem Container und eine mittelgrosse PV-Anlage (40 kW Nennleistung). Alle Stromflüsse im Netz wurden mit einer Messinfrastruktur aus Phasor Measurement Units (PMU) erfasst. Zum Projekt gehörte eine zweite Versuchsanordnung aus einer Ladestation, einer Batterie und einer zentralen PV-Anlage in Aigle (VD). Diese zweite Anlage bietet Lademöglichkeiten für gleichzeitig acht Fahrzeuge (1,2 MW Ladeleistung); die Batterie (2,5 MWh Ladekapazität) und die PV-Anlage (1,6 MW Nennleistung) sind deutlich grösser als jene auf dem EPFL-Campus. Während die Batterie und die PV-Anlage schon bestehen, konnten die Ladestationen nicht rechtzeitig gebaut werden. Deshalb wurden für die Studie reale Ladeprofile von ähnlichen Standorten in Form von Simulationen herangezogen.

Die Anlage in Lausanne hatte den Vorteil, dass Personen befragt werden konnten, die dort ihr E-Fahrzeug luden. Aufgrund der Antworten konnten die Forschenden u.a. abschätzen, wie flexibel hinsichtlich der Ladedauer die Ladestationen betrieben werden können, ohne den Komfort der Autofahrer einzuschränken. Ein Beispiel: Lädt eine Autofahrerin ihr Elektroauto während des einstündigen Mittagessens, dürfte es für sie kaum eine Rolle spielen, ob der 30-minütige Ladevorgang zu Beginn oder am Ende der einstündigen Mittagspause liegt oder ob das Auto während einer Stunde z.B. mit reduzierter Leistung geladen wird.

Algorithmus für Prognose

Um Ladestationen netzdienlich betreiben zu können, muss sich die Ladeleistung in Echtzeit steuern lassen, und die Ladestationen sollten mit Batteriespeichern ergänzt werden, die Strom während Sekunden, Minuten oder Stunden puffern können. Das MESH4U-Team entwickelte Algorithmen, mit denen sich Ladestationen und Batterien in Echtzeit so steuern lassen, dass das System möglichst wenig zusätzliche Leistung aus dem Verteilnetz beziehen muss. Diese Algorithmen wurden an den Projektstandorten auf dem EPFL-Campus und in Aigle eingesetzt. Sie beruhen auf fortschrittlichen Vorhersagetools für die lokale PV-Produktion und den Stromkonsum der Ladestationen für den Folgetag, die durch das MESH4U-Team entwickelt worden waren.

Die Ergebnisse der MESH4U-Studie zeigen: Wenn man Ladestationen mit Batteriespeichern zu einem steuerbaren Ladesystem kombiniert, schafft man die technische Voraussetzung, um Planung der Produktionskapazitäten (Dispatch), Betrieb und Steuerung des Verteilnetzes flexibel zu gestalten und messbare Vorteile zu erzielen. «Mit einem in Echtzeit steuerbaren Ladesystem einschliesslich Batteriespeicherlösung, wie es im MESH4U-Projekt entwickelt wurde, liess sich die ungeplante tägliche Netzbelastung (d.h. die Strommenge, die nicht durch Batterie und Flexibilität gedeckt werden kann und aus dem Netz bezogen werden muss) im Vergleich zu einem ungesteuerten System um einen Faktor zehn verringern», schreiben die Autoren im Projektschlussbericht. Eine Umfrage bei Nutzerinnen und Nutzern der Ladestation auf dem EPFL-Campus hat gezeigt, dass sie für die Ladung ihrer Autos durchaus eine gewisse zeitliche Flexibilität zulassen: Eine klare Mehrheit der befragten Personen ist bereit, für den Ladevorgang einige Minuten länger einzuplanen – ein Drittel der Befragten würde dies ohne finanzielle Entschädigung tun, ein weiteres Drittel gegen Entschädigung. Auch wenn die verfügbare Flexibilität der steuerbaren Ladestationen begrenzt ist, können die Investitionen in Batteriespeicher, die zur Vermeidung einer Netzverstärkung erforderlich sind, reduziert werden.

Steuerung im Sekundentakt funktioniert nicht

Die Studie weist auch darauf hin, dass es eine zeitliche Verzögerung bei der Steuerung des Ladevorgangs von Autos geben kann. Deshalb seien sehr kurzzeitige Flexibilitäten (z.B. für wenige Sekunden) nicht nutzbar. Der Grund: Während eines Ladevorgangs findet zwischen Ladestation und Auto eine Kommunikation statt. Die Verzögerung zwischen dem Signal der untersuchten Ladestation (Gofast) und der Antwort des Elektroautos (Tesla S90D) betrug im Feldversuch zwischen einer Sekunde und einer Minute. Ob diese Einschränkung auch für andere Fahrzeugtypen gilt, lassen die Wissenschaftler in ihrer Studie offen.

Eine besondere Rolle für eine netzfreundliche Elektromobilität könnten künftig Ladestationen spielen, die in Unternehmen oder im öffentlichen Sektor ganze Flotten aus Elektroautos versorgen. Bei diesen Ladestationen lassen sich die Ladezeiten nämlich planen (im Gegensatz zu den zufälligen Ladezeiten an allgemein zugänglichen Ladestationen). Ladestationen für Flotten können daher einfacher und mit einer deutlich kleineren Batterie netzdienlich betrieben werden und mehr Flexibilität bereitstellen. Dazu sagt Projektleiter Georgios Sarantakos: «Eine Flotten-Ladestation ermöglicht das Netzmanagement im Vergleich zu einer allgemein zugänglichen Ladestation mit demselben Energiebedarf mit einer bis zu zehn Mal kleineren Batterie. Wenn man plan- und steuerbare Flotten-Ladestationen ins Netz einbindet, kann man die Vorhersagbarkeit und Flexibilität der steuerbaren Ressourcen des Netzes erhöhen. Das kann zu einem tieferen Investitionsbedarf z.B. für Speicherlösungen führen und die Auswirkungen der Elektromobilität auf die Netztarife begrenzen.»

Anreize schaffen Flexibilität

Klar ist: Mit Anreizen lässt sich die Flexibilität von Autofahrern erhöhen. Es liegt somit nahe, dass Netzbetreiber, die Lastspitzen in ihrem Verteilnetz reduzieren wollen, Personen belohnen, die bereit sind, ihren Ladevorgang etwas zu verlängern oder zeitlich zu verzögern (indem sie z.B. ihre Mittagspause verlängern). Die Autoren der MESH4U-Studie schlagen ein Preisregime vor, bei dem Ladevorgänge über den Preis der bezogenen Leistung so gesteuert werden, dass Elektroautos zu Zeiten geladen werden, in denen das Netz wenig belastet wird.

Werden Ladestationen mit Batterien ausgerüstet, um Flexibilität für die Ladevorgänge zu erreichen, verursacht das Mehrkosten. Die Autoren der MESH4U-Studie sind aber überzeugt, dass Ladesysteme mit steuerbarer Ladestation und Batterie in gewissen Fällen wirtschaftlich betrieben werden können, wie sie im Schlussbericht schreiben: «Für einen wirtschaftlichen Betrieb müssen für die Dimensionierung der Batteriespeicher verschiedene Parameter einbezogen werden. Dazu gehören u.a. der Strompreis, die Zahl der Ladestationen, die Grösse des Transformators und die Entwicklung der geladenen Strommengen.» Ausserdem ergab die MESH4U-Studie, dass die Rentabilität von Batteriespeichern weiter verbessert werden könnte, indem zusätzliche Dienste (insbesondere die Primärregelleistung) für das Netz bereitgestellt werden, wenn die Batterie nicht gerade zur Spitzenlastreduzierung eingesetzt wird.

Mehr Chance als Risiko

Insgesamt sieht die MESH4U-Studie die Durchdringung des Stromnetzes mit Schnellladestationen nicht als Risiko, sondern als Chance. Dazu die Einschätzung von EPFL-Forscher Georgios Sarantakos: «Werden Schnellladestationen zweckmässig gesteuert, werden Netzungleichgewichte durch ihre hohen Strombezüge reduziert. Mehr noch: Steuerbare Ladestationen können die Netzflexibilität erhöhen. Da die Flexibilität sowohl von den Autofahrern als auch von der Batterie ausgehen kann, ist es eine Frage der wirtschaftlichen Analyse, ob Anreize für Erstere oder Investitionen in Letztere erforderlich sind und in welchem Umfang. Die zweite Option ist mit hohen Anfangsinvestitionen verbunden, während die erste Option Flexibilität bietet, allerdings verbunden mit hoher Unsicherheit. Letztere wird umso geringer, je mehr E-Fahrzeuge auf den Schweizer Markt kommen. Die Förderung von E-Fahrzeugflotten für private und öffentliche Unternehmen könnte eine niedrig hängende Frucht sein, da sie relativ geringe Anfangsinvestitionen erfordert und gleichzeitig eine hohe Flexibilität bietet.»

Literatur

Der Schlussbericht zum Projekt ist abrufbar unter www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=47165.

Links

Weitere Fachbeiträge über Forschungsprojekte finden Sie unter www.bfe.admin.ch/ec-strom

Gesuche um Finanzhilfe für Entwicklung neuer Energietechnologien können unter www.bfe.admin.ch/pilotdemonstration eingereicht werden.

Auskünfte zum Thema erteilen Karin Söderström, Co-Verantwortliche des Pilot- und Demonstrationsprogramms des BFE, und Michael Moser, Verantwortlicher für das BFE-Forschungsprogramm Netze.

Autor
Dr. Benedikt Vogel

ist Wissen­schafts­journalist.

  • Dr. Vogel Kommunikation
    DE-10437 Berlin

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