Fachartikel Mobilität , Smart Grid

Was beeinflusst das Flexi­bilitäts­poten­zial?

Elektromobilität

16.04.2024

Elektro­fahrzeuge können sowohl eine Heraus­forderung als auch eine Unterstützung für das Strom­system darstellen. Entschei­dend ist, wie sie geladen werden. Um die mobilen Batterien für Flexi­bilitäts­dienste nutzen zu können, sollten Ver­haltens­aspekte wie das Lade­ver­halten und die Bereitschaft zur Teilnahme an der Flexi­bilitäts­bereit­stellung berück­sichtigt werden.

Das künftige Stromsystem wird zunehmend mehr Flexibilität benötigen, was eine der zentralen Herausforderungen der Energiewende darstellt. Während der Solarstromanteil während der Mittagszeit am höchsten ist, können Elektro­fahr­zeuge (electric vehicles, EVs) die Nach­frage­spitzen am Abend erhöhen [1]. Das Flexi­bilitäts­poten­zial der Stromnachfrage steigt zunehmend aufgrund der Elektrifizierung, insbesondere durch die mobilen Batterien in EVs.

Wann, wo und wie viel Flexibilität EVs für das Stromsystem bereit­stellen können, hängt stark vom Ladeverhalten und dessen Steuerung ab. In einer Reihe von Studien1) [1, 2, 3] wurde untersucht, wie verschie­dene Ladeverhalten und Steue­rungs­strategien das Flexi­bilitäts­poten­zial von EVs beeinflussen. Mit diesen Erkenntnissen können Strategien entwickelt werden, um das technisch mögliche Flexi­bilitäts­poten­zial maximal auszuschöpfen. Da das Ladeverhalten auf dem Fahrverhalten basiert, werden in diesem Artikel zunächst die Fahrverhalten unterschiedlicher Fahr­zeug­nutzungen diskutiert. Anschliessend wird der Einfluss des Ladeverhaltens auf das Flexi­bilitäts­poten­zial untersucht, was beispielsweise durch Anreize gesteuert werden kann. Dabei muss die Bereitschaft zur Teilnahme von EV-Nutzenden an der Bereitstellung von Flexibilität berücksichtigt werden.

Fahrverhalten: Verfügbarkeit und Vor­her­sag­bar­keit

Die geeignetsten EVs verbinden hohe Verfüg­barkeit mit hoher Vor­her­sag­bar­keit. Erstere liegt vor, wenn die EVs nur kurz fahren und die meiste Zeit geparkt und an eine Ladestation angeschlossen sind. Letztere entsteht u.a. durch geplantes Fahr­verhalten mit regel­mässigen Parkzeiten (Fahrplan usw.).

Tabelle 1 zeigt, dass manche Fahr­zeug­nutzungen geringere Verfügbarkeit, aber höhere Vor­her­sag­bar­keit (Nutzfahrzeuge) oder umgekehrt (Privatfahrzeuge) aufweisen [2]. Sowohl höhere Verfügbarkeit als auch höhere Vor­her­sag­bar­keit ist bei Nutzungen mit langen geplanten Parkzeiten gegeben, z.B. bei Schulbussen, oder in Parkhäusern mit langen Parkzeiten (Flughäfen). In diesen Fällen ist bidirektionales Laden, also sowohl Laden als auch Entladen der Batterie während der Parkzeit (Vehicle-to-Grid, V2G), besonders relevant, da die Batterie sonst nur einmal innerhalb der längeren Parkzeit vollständig geladen werden kann. Obwohl Privat­fahrzeuge weniger gefahren werden als Carsharing EVs, können lange Standzeiten bei nicht gebuchten Carsharing EVs zu grossem Flexi­bilitäts­poten­zial führen. Die Kombination verschiedener Fahr­zeug­nutzungen und die daraus resultierende Vielfalt an zeitlichen und räumlichen Nutzungs­mustern erhöht die Wahr­schein­lichkeit, vereinbarte Flexibilitäts­mengen zu einem bestimmten Zeitpunkt bereit­stellen zu können.

Ein genauerer Blick auf das Fahrverhalten der Privat­fahrzeug­nutzenden verrät, dass es sehr unter­schiedlich ist (Bild 1). In ländlichen Gebieten ist der Anteil der Langstreckenfahrer mit 26% relativ hoch [1]. Obwohl die beiden Fahrverhalten «Lange Strecken» und «Hohe Nutzung» einen relativ geringen Anteil an der Flotte ausmachen, verursachen sie die höchste durch­schnittliche Lastspitze im Vergleich zu den anderen Fahrverhalten (Bild 2a). Die Flexibilität ist gering wegen des hohen Energiebedarfs bei langen Strecken und den relativ kurzen Parkzeiten, die nahezu vollständig für das Laden genutzt werden müssen. Folglich können diese Fahrverhalten eine besonders grosse Herausforderung für Verteilnetze darstellen, in denen viele Personen mit diesen Fahrverhalten ihre EVs aufladen, was insbesondere in ländlichen Gebieten der Fall sein könnte.

Ladeverhalten: Unter­schied­liches Flexi­bilitäts­poten­zial

Während das Fahr- und Ladeverhalten heute noch einheitlich erscheinen, werden sie mit der zunehmenden Verbreitung von EVs deutlich diverser. Daher wird in den Studien [1, 3] ein breites Spektrum an Ladeverhalten berücksichtigt. Während das Ein­steck­verhalten von der Entscheidung der EV-Nutzenden abhängt, wann und wo sie einstecken, und sich auf die zeitliche und räumliche Verteilung der Last bezieht, sind Ladevorgänge typischer­weise automatisiert – sobald dies vom Nutzenden akzeptiert wurde – und beziehen sich nur auf die zeitliche Verteilung der Last. Wie spielen diese beiden Komponenten des Lade­ver­haltens zusammen, und wie beeinflussen sie das Flexi­bilitäts­poten­zial?

Wenn der Einfluss des Einsteck­ver­haltens mit den automatisierten Ladevorgängen verglichen wird, zeigt sich, dass die automatisierten Ladevorgänge das Flexi­bilitäts­poten­zial insgesamt stärker beeinflussen. Das Einsteck­ver­halten kann in bestimmten Netzgebieten aber einen erheblichen Effekt auf das Flexi­bilitäts­poten­zial aufweisen, insbesondere in ländlichen Netzgebieten. Hier spielt der Ausbau der Ladeinfrastruktur eine besonders relevante Rolle, da nur mit ausreichend diverser Ladeinfrastruktur eine räumliche Veränderung des Einsteck­ver­haltens und damit Verteilung der Ladelast möglich ist, d. h. neben zu Hause auch am Arbeitsplatz und an öffentlichen Orten.

Ein weiterer Kontrast zwischen städtischen, vorstädtischen und ländlichen Gebieten sind die unter­schiedlich hohen durchschnittlichen Lastspitzen. Wie Bild 2b zeigt, treten die höchsten durchschnittlichen Lastspitzen eines EVs in ländlichen Gebieten auf [1]. Diese Diskrepanz resultiert aus dem unter­schied­lichen Fahr­ver­halten in diesen Gebieten (Bild 1). Insgesamt sind die vorteil­haftes­ten Kombi­nationen von Einsteck­ver­halten und auto­matisierten Lade­vorgängen spezifisch für geografische Gebiete und deren Flexi­bilitäts­anforderungen.

Bereitschaft zur Bereitstellung von Flexibilität

Um das Flexi­bilitäts­poten­zial von EVs nutzen zu können, ist die Bereitschaft zur Teilnahme der EV‑Nutzenden an der Flexi­bili­täts­bereit­stellung entscheidend. Sie müssen also dazu bereit sein, ihr Einsteck­ver­halten gegebenen­falls anzupassen und zuzustimmen, dass die Ladevorgänge automatisch gesteuert werden. Während die ersten EV-Nutzenden meist grosses Interesse für neue Technologien zeigen, könnten besonders bei einer hohen Verbreitung von EVs die Nutzenden aufgrund von empfundenen Unan­nehm­lich­keiten, Gewohn­heiten oder persön­lichen Vorlieben zögern, Flexibilität bereit­zustellen [4]. Die Beteiligung kann nicht vollständig kontrolliert werden und führt daher zu Unsicherheiten in der tatsächlichen Bereitstellung von Flexibilität durch EVs.

Deshalb sind Anreize für EV-Nutzende notwendig, beispielsweise Preissignale oder Informationen, die sich an Flexi­bilitäts­zielen orientieren, z.B. der aktuellen Lastspitze im Netz oder CO2-Emissionen im Strommix. Während Infor­mationen für die ersten EV-Nutzenden ausreichend sein könnten, wird erwartet, dass finanzielle Anreize nötig sind, wenn die Verbreitung von EVs hoch ist [5].

Es hat sich gezeigt, dass EV-Nutzende auf Preissignale reagieren [6]. Es wird zwar erwartet, dass zeitabhängige Kosten einen wesentlichen Beitrag zur Verringerung der Lastspitzen leisten, aber bei verschiedenen EV-Nutzenden konnten erhebliche Unterschiede in der Wirkung von Preissignalen festgestellt werden [7].

Preissignale sollten einfach genug sein, um ihre Attraktivität für EV-Nutzende sicher­zustellen und gleichzeitig Kompromisse zwischen Flexi­bilitäts­diensten auf den Ebenen der Übertragung, Verteilung und Erzeugung berücksichtigen. Das Experi­men­tieren mit Opt-in (die Nutzenden müssen sich für eine Teilnahme entscheiden) und Opt-out Konzepten (die Nutzenden müssen sich gegen eine Teilnahme entscheiden) könnte weitere Erkenntnisse darüber liefern, wie sowohl die Wahlmöglichkeiten der Nutzenden als auch die Flexi­bili­täts­bereit­stellung gleichzeitig maximiert werden könnten. Die Anreize für bestimmte Einsteck­ver­halten könnten sich, bei entsprechender Verbreitung von Lade­infra­struktur an unterschiedlichen Orten, nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich unterscheiden. Dies kann dazu beitragen, die Ladelasten räumlich zu verteilen und damit zu diversifizieren, was wiederum zur Verringerung von Lastspitzen führen kann.

Fazit

Die nachfrageseitige Flexibilität hat das Potenzial, eine wirksame und kostengünstige Möglichkeit zur Integration variabler erneuerbarer Energien und zur Verringerung des Netzausbaubedarfs darzustellen. Das Flexi­bilitäts­poten­zial von EVs hängt wesentlich von drei Verhaltensaspekten ab: dem Fahr- und Ladeverhalten sowie der Bereitschaft zur Teilnahme an der Bereitstellung von Flexibilität. Verhaltensaspekte und Unterschiede zwischen verschiedenen EV-Nutzenden, insbesondere bei hoher Verbreitung von EVs, sollten bei der Entwicklung von passender Ladesteuerung und entsprechenden Anreizen berücksichtigt werden, um das technisch mögliche Flexi­bilitäts­poten­zial maximal ausschöpfen zu können.

Für Entscheidungsträger in der Politik und Industrie, beispielsweise Netz- und Ladestationsbetreiber, ergeben sich einige Implikationen. Portfolios aus unterschiedlichen Fahr­zeug­nutzungen (z.B. verschiedene soziodemografische Gruppen, Nutz- und Privatfahrzeuge) zu entwickeln, erhöht die Zuverlässigkeit der Flexibilität von EVs und verringert damit die Unsicherheit der Flexi­bili­täts­bereit­stellung von verschiedenen EV-Nutzenden. Ausserdem sollten bei der Entwicklung von Strategien für die Erhöhung des Flexi­bilitäts­poten­zials von EVs das Fahrverhalten sowie beide Komponenten des Ladeverhaltens (Einsteck­ver­halten und automatisierte Ladevorgänge) berücksichtigt werden, da diese einen wesentlichen Einfluss auf die resultierende Ladelast und ihre Flexibilität aufweisen. Darüber hinaus sollten dabei der geografische Kontext in einem bestimmten Netzgebiet und dessen Flexibilitätsanforderungen berücksichtigt werden, da davon abhängt, welche Einsteck­ver­halten und automatisierten Ladevorgänge zum höchsten Flexi­bilitäts­poten­zial führen können. In ländlichen Gebieten sollten Änderungen im Einsteck­ver­halten unterstützt werden, da sie ein grösseres Flexi­bilitäts­poten­zial bieten als in städtischen Gebieten. In städtischen Gebieten sollte dagegen der Fokus auf den Ladevorgängen liegen. Um die Ladelast räumlich verteilen zu können und damit die Lastspitzen zu reduzieren, ist die Bereitstellung von Ladeinfrastruktur an unterschiedlichen Orten notwendig, z.B. am Arbeitsplatz und an öffentlichen Orten. Zusätzlich sollten wirksame finanzielle Anreize entwickelt werden, die mehrere Flexibilitätsziele integrieren, z.B. Lastspitzen und CO2-Emissionen reduzieren, und die entsprechenden Einsteck­ver­halten und automatisierten Ladevorgänge fördern. Dabei sollte die Attraktivität der Anreize für EV-Nutzende sichergestellt werden.

Referenzen

[1] C. Gschwendtner et al., «The impact of plug-in behavior on the spatial-temporal flexibility of electric vehicle charging load», Sustain. Cities Soc. 88, 2023, 104263. doi.org/10.1016/j.scs.2022.104263

[2] C. Gschwendtner et al., «Vehicle-to-X (V2X) implementation: An overview of predominate trial configurations and technical, social and regulatory challenges», Renew. Sustain. Energy Rev. 145, 2023, 110977. doi.org/10.1016/j.rser.2021.110977

[3] C. Gschwendtner et al., «Mind the Goal: Trade-offs between Flexibility Goals for Controlled Electric Vehicle Charging Strategies», iScience 26 (2), 2023, 105937. doi.org/10.1016/j.isci.2023.105937

[4] M. Muratori, «Impact of uncoordinated plug-in electric vehicle charging on residential power demand», Nat. Energy 2018 3, 2018, S. 193–201. doi.org/10.1038/s41560-017-0074-z

[5] M. Kubli, «EV drivers’ willingness to accept smart charging: Measuring preferences of potential adopters», Transp. Res. Part D Transp. Env. 109, 2022, 103396. doi.org/10.1016/j.trd.2022.103396

[6] J. Bailey, J. Axsen, «Anticipating PEV buyers’ acceptance of utility controlled charging», Transp. Res. Part A Pol. Prac. 82, 2015, S. 29–46. doi.org/10.1016/j.tra.2015.09.004

[7] J. H. M. Langbroek et al., «When do you charge your electric vehicle? A stated adaptation approach», Energy Policy 108, 2017, S. 565–573. doi.org/10.1016/j.enpol.2017.06.023

[8] T. M. Khanna et al., «A multi-country meta-analysis on the role of behavioural change in reducing energy consumption and CO2 emissions in residential buildings», Nat. Energy, 6(9), 2021, S. 925–932. doi.org/10.1038/s41560-021-00866-x

1) Dieser Artikel basiert auf Erkenntnissen des Forschungsprojektes «Enabling Flexible Electric Vehicle Grid Integration (ErVIn)» der Gruppe für Nachhaltigkeit und Technologie (SusTec) der ETH Zürich. Für lnhalt sowie Schlussfolgerungen ist ausschliesslich die Autorin verantwortlich. Das Projekt wurde mit Unterstützung des Bundesamts für Energie durchgeführt.

Autorin
Dr. Christine Gschwendtner

ist Postdoc am Institut für Daten, Systeme und Gesell­schaft des Massa­chusetts Insti­tute of Technology.

  • MIT, Cambridge, MA 02142, USA

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