Kurzschlussschutz von Sekundärverteilungen
SNG 481449:2023
Unerwünschte Kurzschlüsse und daraus entstehende Störlichtbogen können verheerende Auswirkungen auf Personen und Sachwerte haben. Technische Schutzmassnahmen wie Kurzschlussschutzeinrichtungen oder lichtbogensichere Anlagen können diese zerstörerischen Wirkungen eines Kurzschlusses wesentlich begrenzen.
Im Auftrag des Eidgenössischen Starkstrominspektorates ESTI erarbeitete das TK 121B (technisches Komitee des CES), das für die technische Normung von Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen zuständig ist, ab 2018 eine Schweizer Guideline SNG zum Thema «Kurzschlussschutz von Sekundärverteilungen». Unter dem Begriff «Sekundärverteilung» versteht die SNG eine Niederspannungs-Schaltgerätekombination SK, die direkt von einem oder mehreren Transformatoren gespeist ist.
Eine SNG ist eine Publikation mit Erläuterungen zur Erstellung und Anwendung von Normen und Regeln und enthält keine normativen Festlegungen. Die SNG 481449:2023 ist bis auf Weiteres nur in deutscher Sprache erhältlich und kann im Electrosuisse-Normenshop bezogen werden.
Die SNG hat einen Umfang von insgesamt 62 Seiten. Sie definiert den Anwendungsbereich, stellt die gesetzlichen Grundlagen für ihre Anwendung vor, beschreibt die Auslegung des Kurzschlussschutzes in Abhängigkeit vom Ort der Fehlerstelle sowohl für Primärschutz als auch für Sekundärschutz. Auf detaillierte Weise wird anschliessend die mögliche Beurteilung und Umsetzung von Massnahmen erläutert, wobei auch auf das mögliche Schadensausmass gemäss Auswertung der Übersichtstabelle und die Eintrittswahrscheinlichkeit eingegangen wird.
Ziel der Guideline
Die in der SNG enthaltenen Erläuterungen und Bestimmungen gelten sowohl für die Erstellung neuer Starkstromanlagen wie auch für bestehende Starkstromanlagen, wenn diese:
- vollständig umgebaut werden,
- in bedeutendem Mass verändert werden und die Sicherheit dadurch wesentlich beeinträchtigt wird,
- für Menschen und Umwelt eine drohende Gefahr darstellen oder andere elektrische Anlagen in erheblichem Masse störend beeinflussen.
Die hier vorgestellte SNG enthält Erläuterungen und Anwendungen zur Beurteilung und Umsetzung des Kurzschlussschutzes mittels geeigneter Risikobeurteilung. Betriebsinhaber von Sekundärverteilungen können damit ihre Verantwortung bezüglich des sicheren Betriebes ihrer Anlagen wahrnehmen.
Anforderungen
Zum Thema Kurzschlussschutz von Sekundärverteilungen sind folgende gesetzliche Anforderungen (technisch) aus der SR 734.2 (Starkstromverordnung) und SR 734.26 (Verordnung über elektrische Niederspannungserzeugnisse NEV) umzusetzen:
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SR 734.2 Starkstromverordnung
Art. 47 Überstromschutz
Art. 62 Schutzmassnahmen bei Kurz- und Erdschluss
Art. 63 Abschaltung
Art. 64 Änderung der Verhältnisse
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SR 734.26 NEV
Art. 3 Sicherheit
Art. 10 Erfüllung der Anforderungen
Anwendungsbereich
Bei der SNG 481449 berücksichtigt der Anwendungsbereich (Bild 1) insbesondere den Art. 47 der SR 734.2, der besagt, dass die hochspannungsseitigen Schutzeinrichtungen (Primärschutzeinrichtungen) für den Transformator auch den Kurzschlussschutz bis und mit den ersten Niederspannungsschutzeinrichtungen gewährleisten müssen.
Es gibt zwei Möglichkeiten, um den Kurzschlussschutz der Sekundärverteilung zu realisieren, wobei aus Erkenntnissen der SNG 481449 die Variante B zu bevorzugen ist.
Variante A: Die Sekundärverteilung ist mittels Primärschutzeinrichtung geschützt und basiert auf dem Art. 47 der SR 734.2, wobei die Kurzschlussschutzeinrichtung hochspannungsseitig angeordnet ist (Bild 2).
Variante B: Die Sekundärverteilung ist mittels Sekundärschutzeinrichtung geschützt, wobei die Kurzschlussschutzeinrichtung in der Einspeisung der Sekundärverteilung angeordnet ist (Bild 3).
Die Anforderungen sowie die Umsetzung des Kurzschlussschutzes sind detailliert in Tabelle 1 aufgeführt.
Beurteilung des vorhandenen oder geplanten Schutzes
Im Abschnitt 6 der SNG 481449 wird anhand eines Beispiels eine mögliche Beurteilung und Umsetzung erläutert, welche in diesem Beitrag nicht 1:1 wiedergegeben wird. Es sind die in den Bildern 4 und 5 gezeigten Situationen zu beurteilen. Zur Beurteilung des Kurzschlussschutzes kann das Schema in Bild 6 angewendet werden.
Geeignete Risikobeurteilung
Die Risikobeurteilung bewertet auf Grundlage der Risikoanalyse, ob das Risiko unter den gegebenen Rahmenbedingungen akzeptabel und eventuelle Restrisiken vertretbar sind. Eine Risikobeurteilung wird nicht nur einmalig für Neuanlagen gemacht, sondern ist Teil der Instandhaltung und muss in festgelegten Zyklen in Abhängigkeit der Alterung und der Umgebungsbedingungen wiederholt werden.
In der SNG 481449 wurde im Beispiel bezüglich des möglichen Schadensausmasses und dessen Auswirkungen ein Index erstellt. Bei diesem Index reicht der voraussichtliche Sachschaden von «Kein Schaden, uneingeschränkter Betrieb nach dem Fehler möglich» bis zu «Totalschaden. Ganze Sekundärverteilung muss ersetzt werden». Entsprechend reichen die möglichen Auswirkungen von «Auswirkungen auf Personen sind ausgeschlossen» bis zu «Es ist mit Verbrennungen, Schädigungen der Atemwege und Verletzungen durch abgesprengte Anlagenteile der Sekundärverteilung zu rechnen.»
Schadensausmass mindernde Massnahmen
Um das Schadensausmass an der Sekundärverteilung und auf Personen in unmittelbarer Nähe zur Sekundärverteilung auf ein akzeptables Ausmass zu begrenzen, können verschiedene Massnahmen umgesetzt werden wie strombegrenzende Kurzschlussschutzeinrichtungen, lichtbogensichere Sekundärverteilungen nach IEC TR 61641 oder kurze Abschaltzeiten unter Störlichtbogenbedingungen.
Eintrittswahrscheinlichkeit
Entscheidend für eine Risikobeurteilung ist nicht nur das mögliche Schadensausmass, sondern auch die Eintrittswahrscheinlichkeit. Diese ist wiederum abhängig von den möglichen Ursachen zur Entstehung eines Kurzschlusses oder eines Störlichtbogens innerhalb einer geschlossenen Sekundärverteilung während des Betriebes und den realisierten Schutzmassnahmen bezüglich dieser Ursachen (Tabelle 2). Wesentliche Faktoren sind dabei die Umgebungsbedingungen und die Alterung.
Fazit
Die SNG 481449:2023 ist eine Guideline, die dafür sorgen soll, dass Kurzschlüsse in Sekundärverteilungen nicht zu schwerwiegenden Folgen führen. Dies tut sie, indem sie die Auslegung des Kurzschlussschutzes in Abhängigkeit vom Ort der Fehlerstelle für Primär- und Sekundärschutz definiert. Zudem beschreibt sie die Beurteilung und Umsetzung von Massnahmen, unter Berücksichtigung des möglichen Schadensausmasses und der Eintrittswahrscheinlichkeit. Es lohnt sich, diese Guideline sowohl für die Erstellung neuer Starkstromanlagen wie auch beim Umbau bestehender Starkstromanlagen zu berücksichtigen.
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